Fußball Ultras in Ostdeutschland – Mehr als Gewalt und Pyro? | Past Forward

Published: Aug 19, 2024 Duration: 00:08:44 Category: Sports

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Sie haben nicht gerade den besten Ruf. Verp*** dich du Pressef****! Was häufig von ihnen wahrgenommen wird: Gewalt, Sexismus, Rassismus, Pyrotechnik, Homophobie. Aber ist das wirklich alles, was Ultras ausmacht? Oder tun wir ihnen damit Unrecht? Ultras sind der Grund, warum die Gewalt in deutschen Stadien rückläufig ist seit den 90ern. Es ist auch eine total große soziale Gemeinschaft oder soziale Familie. Die ersten Menschen, die nach der Flutkatastrophe im Ahrtal geholfen haben, waren Ultras. Wie ist diese besondere Form der Fankultur überhaupt entstanden? Und können wir uns vielleicht noch die eine oder andere Sache von ihnen abschauen? Einer der bekanntesten Ultra Experten in Deutschland, Jonas Gabler, hilft mir, die Bewegung einzuordnen. Denn das ist gar nicht so leicht, bei den vielen Gruppen. Gehört zum Ultra sein auch immer eine politische Orientierung dazu? Die Ultra-Kultur gibt jetzt nicht irgendwie vor, dass das irgendwie näher rechts ist oder näher eher links ist. Das ist auch historisch, in Italien wie auch in Deutschland gab es einfach immer beides und auch den Wunsch, eher unpolitisch zu sein. Und was sie damit meinen ist, dass Sie in ihren Reihen, in Ihrer Gruppe Leute akzeptieren, die unterschiedliche politische Meinungen vertreten und in der Hinsicht ja politisch divers sind. Ich muss sagen, langsam werde ich irgendwie echt nervös. Wir arbeiten jetzt seit einem Vierteljahr an diesem Film und bis jetzt konnten wir keine aktiven Ultras dazu bringen, mit uns zu reden. Zumindest nicht vor der Kamera. Hintergrundgespräche hatten wir mit mehreren Gruppen. Hoffentlich geht da noch was. Auch mit den Magdeburgern standen wir in Kontakt. Nun treffe ich ihren Fan Betreuer Felix Nebel. Er stand bis vor einigen Jahren selbst in der Kurve und erklärt mir, warum Ultras ein Problem mit Medien haben. Es gibt wenig Berichte, die gut recherchiert sind, die auch Ultras in einem positiven Licht darstellen und da ist auch so ein bisschen der Punkt. Okay, man hat eigentlich die Zusammenarbeit mit Medien so ein bisschen aufgegeben. Man ist da auch resigniert. Aber findet er die kritische Berichterstattung nicht auch ein Stück weit legitim? Schließlich bewegen sich die Aktionen der Ultras nicht immer im legalen Bereich. Also die Berichterstattung haben natürlich Aufhänger und die Aufhänger, die finden schon statt. Man muss aber und das ist ganz wichtig, dass es auch uns als Verein wichtig, immer nach außen zu kommunizieren, dass man da auf jeden Fall differenzieren muss. Das schaffen die Medien meistens nicht, arbeiten da oft populistisch. Pyrotechnik zum Beispiel ist nicht gleich Pyrotechnik. Klar, Pyrotechnik ist verboten. Die Kurven machen es trotzdem. Aber es gibt immer noch einen Unterschied: Lasse ich das Bengalos in der Hand oder werfe ich das Bengalos in einen anderen Fanblock, wo Leute verletzt werden können. Und das haben wir eigentlich bei vielen Themen. Auch Thema Sachbeschädigung, Thema Gewalt. Klar findet sie statt, das verurteilen wir. Aber man muss eben bei der Berichterstattung wirklich genau hingucken. Wie bei vielen anderen Vereinen wurden auch in Magdeburg Schutzkonzepte gegen Diskriminierung erarbeitet. Als Fanbeauftragter setzt Felix das mit seinem Team um. Gibt es rechte Tendenzen in der Magdeburger Fanszene? Also du hast in Magdeburg wie wahrscheinlich in ganz Deutschland hast du ein breites Spektrum an Fans von rechts bis links ist alles dabei. Ein Problem würde ich verneinen. Also klar, man hat Leute, die auch irgendwie stadtbekannt sind, die auch im Stadion sind. Davon stehen auch viele gar nicht hier im Blog U, sondern auch in anderen Teilen des Stadions. Und es gibt hier natürlich auch mehrere Ultragruppen in Magdeburg mit unterschiedlichem Selbstverständnis. Heute ziehen alle an einem Strang. Sie bereiten die größte Choreo vor, die es hier je gegeben hat. Anlass 50 Jahre Europapokal Sieg. Mit Blick auf DDR Zeiten, war der erste FC Magdeburg, der einzige Fußballverein, der den Europapokal holen konnte. Da hat man sich auch in den sportlich eher tristen Zeiten hat man sich natürlich auch dran hochgezogen. Wie viele Ost Vereine stütze der FCM nach der Wiedervereinigung richtig krass ab. Der einstige Europacup Sieger kickte über zehn Jahre im Amateurfußball, ging fast pleite. Was mir immer bewusster wird, wie wichtig so ein Verein für das Selbstwertgefühl sein kann. Speziell mit ostdeutscher Fußball Identität beschäftigt sich Kulturwissenschaftler Alexander Mennicke. Hallo Alex! Herzlich willkommen, Leipzig Leutzsch. Danke schön! Was kann denn Fußball gerade auch in Bezug auf die Fankultur an Identität stiften? Gerade hier im Osten kann man vielleicht sogar sagen: Das ist eine der größten Massenbewegungen überhaupt ist. Also wenn man das vergleicht mit Gewerkschaften oder dergleichen. Und das prägt natürlich junge Menschen, das prägt Jugendliche, das prägt Kinder. Und wenn man in einer Fankurve aufwächst und eben mit bestimmten Diskursen aufwächst. Diskurse über die eigene Vereinsgeschichte, die eigene Geschichte als Ostdeutscher oder als DDR Verein, dann nimmt das Leute mit, dann beeinflusst das Leute. Alex erklärt mir, was die Ultra Kultur im Osten beeinflusst hat. Die Vereine haben eine massive Abwertung bekommen. Also wir haben ja nur zwei Vereine, die wirklich in die Bundesliga eingegliedert wurden. Und letztendlich, wenn man sich die Deutschlandkarte bis heute anguckt, sieht man, dass diese Abwertung auch fortwirkt und dass dann Strukturen einfach kaputt gegangen sind. Manche würden auch sagen, sie wurden zerstört, die sich bis heute nicht erholt haben und an denen der ostdeutsche Fußball auch bis heute noch krankt. Wie in fast allen anderen Bereichen werden die DDR Bürgerinnen auch hier vom Westen überrollt. Mit dem Untergang der DDR verschwindet auch die sichere Finanzierung. Fast alle Klubs gehörten zu Betrieben oder Behörden. Die Vereine müssen nun lernen, dass fortan der Erfolg im Fußball vom Geld dominiert wird. Ost-Klubs mit großen Namen stürzen bis in die vierte Liga ab. Über 150 Spieler wechselten Anfang der 90er Jahre zum West Vereinen. Das bisher letzte Tor gegen den Kapitalismus köpfte Thom letztes Jahr im Europacup gegen Werder Bremen. In der DDR soll Thom 60.000 Ostmark pro Jahr verdient haben, vermutliches Jahreseinkommen in der Bundesliga 500.000 Westmark. Die Welt der Fans im Osten verändert sich. Hohe Arbeitslosigkeit, keine Perspektive. Die ehemalige Volkspolizei ist Anfang der 90er komplett überfordert mit der Gewalt im und außerhalb des Stadions. Sonst waren sie da, um die Leute zu anzuscheißen. Jetzt, wo sie helfen sollten, sind sie wieder nicht da. Ein Machtvakuum entsteht. Im November 1990 eskaliert die Situation. Ein 18-jähriger Berliner ist das Todesopfer der schweren Krawalle vor und nach dem gestrigen Leipziger Fußballspiel. Genau hier, am Leutzscher Bahnhof kommt Mike Polley ums Leben. Erschossen von der Polizei. Durch die Gewalt und Abwertungserfahrungen entsteht Anfang der 2000er in Ultraszenen im Osten ein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Das vor allem auch in Abgrenzung zum Westen funktioniert hat. Das heißt, man hat gesagt, wir sind authentischer, wir sind stärker, wir kommen alle aus der Platte, wir haben halt ein raueres Leben. Bei uns spielt Gewalt eine große Rolle und ihr seid eben welche, die sich von Gewalt distanzieren. Und nein, wir praktizieren das aber. Es war wirklich so ein gemeinsamer Erfahrungsraum, den man da geteilt hat. Auch weil eben die Vereine so scheiße gespielt haben und fast alle in einer Liga waren. Das Bewusstsein blieb auch wieder in höheren Lagen. Beispiel Dresden hier 2019 beim Spiel in Hamburg. Zurück in Magdeburg. Hier bewegt sich bereits ein riesiger Fanmarsch Richtung Stadion. Anlässlich des Europapokal Jubiläums haben die Ultras dazu aufgerufen. So, jetzt wird langsam ernst. Ich gehe jetzt in Block U, da kann ich die Kamera aber nicht mit hinnehmen. Wenn ihr wissen wollt, wie krass die Choreo jetzt doch noch war, dann schaut euch die Langfassung unseres Films in der ARD Mediathek an! Wer weiß, vielleicht haben wir ja bis zum Ende des Films doch noch einen Ultra gefunden, der uns ein bisschen was über die Szene erzählen kann.

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